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IV-Rentenprüfung und Wiedereingliederung: Betroffene aus der Region erzählen

Menschen mit physischen oder psychischen Erkrankungen werden oft aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen und sind auf Leistungen der Invalidenversicherung angewiesen. Wie ergeht es Betroffenen? Syna Deutschfreiburg portraitiert zwei Schicksale aus der Region.

Gesundheit als Armutsfalle

Über 40 Jahre hat Frau D.S.* als Serviceangestellte in einem Restaurant gearbeitet um als Alleinerziehende über die Runden zu kommen. Während dieser Erwerbstätigkeit konnte sie ein kleines Vermögen ansparen, um sich eine schöne Rentenzeit zu ermöglichen. Doch dann kam alles anders. Seit 2015 leidet sie unter Arthrose im Handgelenk, begleitet von starken Schmerzen und Zittern. So wird ihre Arbeitstätigkeit im Service schier unmöglich. Durch die Wiedereingliederung der IV hat sie mehrere Praktikas absolviert und trotz Versprechen der Arbeitgebenden nie eine Festanstellung erhalten. Aufgrund des Gutachtens der Invaliden-Versicherung soll für Frau S. zu 100% einer angepassten Tätigkeit ohne Beanspruchung der Feinmotorik der Hände nachgehen können, wie zum Beispiel in einer industriellen Arbeit. Arbeit, die sie im Alter von 61 Jahren und ihrer gesundheitlichen Einschränkung nicht mehr findet. Nun lebt sie seit zwei Jahren von ihrem Ersparten und durch die Unterstützung des Sohnes. Fünf Stunden pro Woche kann sie zudem in einem Restaurant aushelfen. «Ich arbeite so gerne und würde mich sehr schämen, Geld vom Sozialdienst zu beziehen. Von der IV bin ich einfach nur enttäuscht.», erzählt Frau S. der Syna Deutschfreiburg.

Invaliden-Ver(un)sicherung?

Herr Messerli* befindet sich seit über drei Jahren in der IV-Rentenüberprüfung und hat schon etliche medizinische Abklärungen hinter sich. Seit seinem fünften Lebensjahr leidet er unter Epilepsie, vor drei Jahren hatte er ein Burnout, gefolgt von Depressionen. Aufgrund seiner Erkrankungen ist er laut seinen Ärzten zu 50% arbeitsfähig. Trotzdem erlebt er mit der IV vor allem Schikanen. «Mein Privatleben ist extrem eingeschränkt. Jeden Tag ist es möglich, dass ich von der IV einen neuen Brief mit zusätzlichen Forderungen erhalte, die mein Leben wieder auf den Kopf stellen.», so Herr Messerli. Die Unklarheit und Nichtplanbarkeit seiner Zukunft verunsichert Herrn Messerli und seine Familie sehr und mindert ihre Lebensqualität. Oft heisst es von der IV, dass man abwarten müsse. Von der IV fühlt er sich in seiner schwierigen Lebenssituation nicht nur nicht aufgefangen, sondern auch unfair behandelt. «Wegen der IV musste ich sogar meinen Fahrausweis abgeben, da mir eine Ärztin der regionalen ärztlichen Dienste (RAD) eine Alkohol- und Drogenabhängigkeit untergejubelt hat. Erst nach einer teuren Haarprobe, die mir bis heute nicht rückvergütet wurde, habe ich ihn zurückerhalten.» Auf Ergebnisse der IV-Rentenprüfung wartet Herr Messerli bis heute.

«Mein Privatleben ist extrem eingeschränkt. Jeden Tag ist es möglich, dass ich von der IV einen neuen Brief mit zusätzlichen Forderungen erhalte, die mein Leben wieder auf den Kopf stellen.»

Herr Messerli*

Psychisch belastende Wartefristen

Frau S. und Herrn Messerli sind leider keine Einzelfälle. Vielen erleben ähnliche Schicksalsschläge und fühlen sich vom staatlichen Sozialsystem im Stich gelassen, auch in Deutschfreiburg. An den Syna Deutschfreiburg bekannten Schicksalen fällt vor allem eines auf: Die Betroffenen leiden psychisch sehr unter den langen Wartefristen der IV-Rentenentscheide und oft auch an schwierigen Nachvollziehbarkeit. Das betrifft nicht nur solche, die gerade aufgrund einer psychischen Erkrankung keine Arbeitstätigkeit mehr aufnehmen können, sondern auch physisch erkrankte Menschen. Den langen Wartefristen sind die gesundheitlich angeschlagenen Personen meist machtlos ausgeliefert. In solch einer Situation lohnt sich nebst der IV-Anmeldung auch eine Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung. Durch die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenkasse sind Betroffene durch ein ganzes Arbeitslosenkassen-Taggeld versichert, wenn sie zu mindestens 20% in einer angepassten Tätigkeit arbeitsfähig sind. Diesen Anspruch haben sie aber nur so lange, bis ein rechtskräftiger Entscheid der IV vorliegt.

Drohende Sozialhilfe

Betroffene, in den Syna Deutschfreiburg bekannten Fällen, warten bis zu fünf Jahre auf den definitiven IV-Rentenentscheid. Um dann ihrer Hoffnung nochmals Raum zu geben, probieren viele Versicherte – auch mit der Unterstützung von Anwälten – Einsprache gegen den Entscheid der IV zu erheben. Dies leider oft ohne Erfolg. So steht bei ihnen nach all dem jahrelangen Warten und der dauernden Verunsicherung die nächste Herausforderung an: (über)leben mit Gesundheitsgebrechen und ohne Leistungen der IV. Nach Erhalt des negativen IV-Entscheids erhält man von der Arbeitslosenkasse noch 90 Tage ein tiefes Taggeld für «Beitragsbefreite» (weil man während den letzten zwei Jahren wohl wenig bis gar nicht gearbeitet hat) - doch spätestens danach droht die Anmeldung bei der Sozialhilfe. Um diese Unterstützung zu vermeiden, haben Betroffene unterschiedliche Strategien. Viele halten sich mit Gelegenheits- oder Aushilfejobs oder finanzieller Unterstützung Dritter über Wasser. Nicht wenige gehen dabei Arbeitstätigkeiten nach, die aufgrund ihrer körperlichen Gesundheit nicht mehr zumutbar wären. Zu gross ist die Scham und der Stolz von der Sozialhilfe zu leben. Sozialhilfe zu beziehen, bedeutet auch sein Vermögen bis auf 4'000 CHF aufzubrauchen. Viele meinen, dass eigene Immobilien dort auch dazu gehören. Doch gemäss dem kantonalen Sozialhilfegesetz ist der Verkauf des Grundeigentums nicht nötig, wenn «die Person (dort) zu marktüblichen oder sogar günstigeren Bedingungen wohnen kann».

Gerade ältere Personen wie im Fall von Frau S., die ein Leben lang gearbeitet und gespart haben, leiden besonders unter der androhenden Sozialhilfe und deren Bedingungen. Ältere arbeitslose und ausgesteuerte Personen dürfen nun auf das definitive politische Gelingen der Überbrückungsrente hoffen, die ihnen den Gang aufs Sozialamt oder eine Frühpensionierung ersparen würde.

*vollständige Namen der Redaktion bekannt


Syna unterstützt dich

Personen, die aufgrund ihrer Gesundheit aus dem Arbeitsmarkt fallen, sind auf zuverlässige Sozialversicherungen angewiesen. Als Gewerkschaft setzt sich Syna schweizweit für starke und faire Sozialversicherungen ein. Bist du ebenfalls von einer Hürde der Invalidenversicherung betroffen? Damit bist du nicht alleine! Wir beraten dich auf diesem Lebensabschnitt gerne um zusammen Lösungswege zu finden. 

Im nächsten Blogartikel wird uns Thomas Bauer, Leiter Sozialpolitik von Travail.Suisse im Interview das Sozialversicherungssystem der IV und das Verbesserungspotential näher bringen.

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